#monthofdisability

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In New York wird diesen Monat Disability Pride gefeiert – warum nicht auch hier?

Ich habe euch schon erzählt, dass ich wie Mark aus meinem in Arbeit befindlichen Roman »Der Genesungsbegleiter« eine bipolare Störung habe, aber noch nicht, was es für mich im Alltag bedeutet, mit dieser Erkrankung zu leben.

Da es sich bei der bipolaren Störung um eine chronische psychische Erkrankung handelt und meine Beschwerden sich voraussichtlich nicht bessern werden, hatte ich beantragt, eine Schwerbehinderung feststellen zu lassen. Mein Grad der Behinderung war anfangs nur 30, dann 70 und jetzt, da ich den Ausweis unbefristet habe, beträgt der GdB 50.

Die Rente wegen voller Erwerbsminderung ist gerade um drei Jahre verlängert worden. Ich kann also jetzt erst mal den Fokus wieder auf meine Ressourcen richten und muss erst beim nächsten Antrag auf Verlängerung wieder überlegen, was meine Einschränkungen sind.

Jetzt könnte man natürlich meinen, ich habe ja den ganzen Tag Zeit. Effektiv nutzen kann ich sie leider nicht so, wie ich das gern würde. Keinesfalls zuverlässig. Oft kann ich mich nicht gut konzentrieren, an manchen Tagen überhaupt nicht. Ich brauche viele Pausen. Ich denke langsamer, das macht sich in Gesprächen bemerkbar, vor allem dann, wenn ich eine bewusste Entscheidung treffen muss.

Seit ich medikamentös richtig eingestellt bin, nehme ich dreimal am Tag meine Medikamente, ein Antiepileptikum zur Phasenprophylaxe (Valproat) und ein Neuroleptikum (Olanzapin), das mich abends müde machen soll. Das funktioniert leider nicht so ganz – ich werde nicht pünktlich abends müde. ;)
Wenn mich etwas sehr aufgewühlt hat, kann ich die ganze Nacht nicht schlafen, auch wenn etwas Aufregendes bevorsteht, und das kann auch nur das Weckerklingeln sein, um die Katzen zu füttern. Das setzt mich dann so unter Druck, dass ich nicht einschlafen kann. Keine Sorge, die Katzen werden dann von meiner besseren Hälfte gefüttert.
Und wenn ich dann schlafe, dann 13 Stunden, um ausgeschlafen zu sein. Früher aufzustehen fällt mir sehr schwer, ich muss schon einen triftigen Grund wie etwa einen Arzttermin haben. Dadurch wird mein Tag dann sehr kurz, falls ich es überhaupt schaffe, nach elf Stunden schon wieder zu schlafen.
Faktisch passe ich nie richtig in den 24-Std.-Rhythmus und kann nicht gut Termine vereinbaren, weil ich im Grunde nie vorher sagen kann, ob ich dann gerade tagsüber oder nachts wach bin. Also treffe ich nur sehr wenige Verabredungen und manage meinen Schlaf mithilfe von Kaffee und Schokolade so, dass es dann eben passt. Meistens bedeutet das, dass ich länger wach bleibe und sich meine Schlafenszeit so immer nach hinten verschiebt.
Tendenziell werde ich eher depressiv, wenn ich zu viel schlafe (gut in den 24-Std.-Rhythmus passe), was meist im Winter der Fall ist, und dagegen bin ich eher im Sommer kommunikativer, kontaktfreudiger und eben auch mehr wach, was leicht in Richtung Hypomanie tendiert. Dafür bin ich dann eben auch kreativer und sozial besser eingebunden.

Jeder freudenvolle Tag ist mit der Angst verbunden, wieder zu entgleisen und erneut in der geschlossenen Psychiatrie zu landen.

Aber hey, wir erinnern uns: Die gute Nachricht ist, dass ich psychisch stabil bin. Ich war seit fünf Jahren nicht mehr in der Klinik. Deshalb will meine Psychiaterin, die ich alle zwei Monate aufsuche, auch keine Experimente in der Medikation mehr machen.
(Als ich es mit Lithium versucht hatte, hat dies eine genetisch vorprogrammierte Psoriasisarthritis (Schuppenflechte mit Gelenkbeteiligung) bei mir ausgelöst, was ihr sehr leidtat. Ich wollte das Zeug unbedingt ausprobieren und es war auch wirklich besser als das, was ich davor hatte. Mit dieser körperlichen Erkrankung konnte ich mich vergleichsweise leicht abfinden und halte relativ strenge Diät ein, um möglichst andere Behandlungen der Haut wie Cremes etc verzichten zu können. Gelenkschmerzen habe ich nach dem ersten Schub seither nur noch gelegentlich und belastungsabhängig.)

Solange ich mir alle Freiheiten lasse, merke ich von meinen Einschränkungen kaum welche. Diese zeigen sich erst beim Versuch sozialer Teilhabe. Gehe ich zum Beispiel jeden Montag singen, dann geht das meinetwegen dreimal gut und beim vierten Mal schlafe ich um die Zeit. Dabei bin ich eigentlich ein zuverlässiger Typ und nach Möglichkeit immer dabei.
Findet die Veranstaltung per Videotelefonie in meinem Wohnzimmer statt, ist der Aufwand für mich weitaus geringer, auch weil ich den Weg zum Veranstaltungsort spare und mich nicht den ganzen Reizen unterwegs aussetze. Deshalb profitiere ich sehr von den vielen Angeboten, die es jetzt auch digital gibt. Manche davon hätte ich sonst nie wahrgenommen.
Bei Reisen handhabe ich es übrigens so, dass ich immer schon einen Tag vor dem Beginn der Veranstaltung anreise, weil ich die Nacht vor der Fahrt erwartungsgemäß nicht schlafen kann, dann schlafe ich vor Ort früh ein und kann dann ausgeschlafen starten. Den Abreisetag nutze ich für mich zum Schlafen und fahre dann erst am Tag darauf nach Hause. Das ist natürlich mit einem Mehraufwand von Zeit und Kosten verbunden. Entsprechend selten verreise ich.

Ab und zu überprüfe ich, ob es nicht inzwischen besser geht mit meinem Biorhythmus. Mein letzter Versuch war, einen 28-Std.-Tag einzuführen, um eine bessere Planbarkeit zu haben. Meine Woche hatte sich dann jede Woche um einen Tag verschoben. Das ging grandios in die Hose, ich war völlig erschöpft vom Schlafmangel. Es ist und bleibt eine zirkadiane Schlafstörung, völlig unregelmäßig.

Das mit dem Schlaf ist nicht das einzige Problem in meinem Leben, aber das, was mich im Zusammenhang mit dieser Erkrankung am meisten wurmt. Diese Unverplanbarkeit. Dieser einzelne Aspekt meines Lebens gilt nur für mich und ist nicht repräsentativ für alle mit derselben Diagnose.

Auffällig ist: Wenn ich sage, dass ich Wechselschichten schlafe und man annimmt, dass ich Wechselschichten arbeite, dann wird das akzeptiert. Lege ich offen, dass ich krank bin, hagelt es gut gemeinte Ratschläge, um die Situation, mit der ich mich durch einen jahrelangen Genesungsprozess zu akzeptieren gelernt habe, zu ändern. Das nervt! Als ob ich mir nicht genug Mühe geben würde beim Gesundwerden.

Dennoch: Bei meinem nächsten Termin bei meiner Ärztin werde ich das Thema Schlaf noch mal ansprechen. Vielleicht kann ich noch etwas ausprobieren, das ich noch nicht versucht habe.

Update 26.07.21:

Zwischenzeitlich habe ich mit meiner Ärztin noch einmal über meine Schlafstörung gesprochen. Sie hat den Verdacht einer Schlafapnoe geäußert, was ich beim HNO abklären lassen werde. Es kann also sehr gut sein, dass meine Probleme wie Tagesmüdigkeit, Konzentrationsstörungen etc. und vor allem dieser extrem überhöhte Schlafbedarf gar nicht auf meine psychische Erkrankung zurückzuführen ist, sondern diese das Problem nur verschärft.

Update 16.09.21:

Die HNO hat nichts festgestellt, das durch eine OP behoben werden könnte bzw. müsste.
Ich war nach einer ambulanten Polysomnographie (beim Lungenfacharzt gibt es das als Kassenleistung, beim HNO als IGeL) im Schlaflabor und hatte etliche Atemaussetzer. Mir wurde eine Schlafmaske (in meinem Fall eine Vollgesichtsmaske) verordnet. Diese wird mit einem Gerät verbunden, sodass mir in der Nacht Luft in Mund und Nase gepustet wird. Dadurch werden nicht nur die Atemaussetzer vermieden, sondern auch mein Schnarchen lässt nach oder verschwindet sogar.

Im Schlaflabor

Ja, es sieht furchtbar gruselig aus, aber es ist bequemer, als es aussieht. xD
Ich bin jetzt sehr guter Dinge, dass ich nach einer Eingewöhnungszeit erheblich an Lebensqualität hinzugewinnen werde und auch mehr vom Tag habe, mehr erlebte Lebenszeit sozusagen.

2 responses

  1. Ich muss ehrlich sagen, dass ich über diesen Monat der in New York gefeiert wird, noch nichts gehört habe. Umso besser, dass du ihn aufgegriffen hast. Es erscheint mir ein bisschen unpassend, deinen Blog Eintrag mit einem gefällt mir zu markieren. Aber ich hoffe du weißt wie es gemeint ist, eben dass es gut ist das du darüber geschrieben hast. Liebe Grüße

    • Ja, das verstehe ich. Geht mir auch manchmal so, dass sich ein Like falsch anfühlt.
      Ich bin über Instagram darauf aufmerksam geworden und wollte mich etwas ausführlicher dazu äußern.

      In Köln gibt es auch die sogenannte „Mad Pride“, bei der ich schon einmal dabei war. Die fand dieses Jahr bereits im Mai statt.