Weizen, blauer Himmel und ein Kleeblatt

Weizen, blauer Himmel und ein Kleeblatt

»Meinst du, mein Bett reicht aus für die beiden?«, fragte Samir und beäugte die nur einen Meter breite Schlafstatt skeptisch.
»Na klar, Yakov und Artjom sind doch ein Paar. Ist ja nicht wie bei uns. Bringt bestimmt Leben in die Bude«, sagte Azis mit einem Augenzwinkern.
Der junge Syrer schenkte dem Deutschtürken ein Lächeln. Vor sieben Jahren hatten die beiden sich über den Queer Refugee Support kennengelernt, als Samir dringend nach einer sicheren Bleibe gesucht hatte. Wo er keine Angst haben musste, wegen seiner Homosexualität angegriffen zu werden. Bei Azis hatte er sich sofort wohlgefühlt und ungewöhnlich schnell Vertrauen gefasst. Bald hatten sie sich angefreundet und so war aus der provisorischen Wohngemeinschaft eine dauerhafte geworden.
Angesichts des Krieges in der Ukraine hatten sie gemeinsam beschlossen, vorübergehend beide in Azis‘ Doppelbett zu schlafen und Samirs Zimmer für ein geflüchtetes Paar zur Verfügung zu stellen. Ein erstes Treffen auf neutralem Boden hatte ergeben, dass der russische Blogger und sein ukrainischer Freund gut zu ihnen beiden passten.
Samir holte seine Jacke vom Haken. »Okay. Dann lass uns losfahren.«

An der Flüchtlingsunterkunft in den Messehallen standen Artjom und Yakov wartend an der Straße und blickten suchend umher.
Azis stieg zuerst aus und winkte. »Hier sind wir! We are here!«
»Wie schön, euch zu sehen!«, antwortete Artjom auf Englisch. Für die wenigen Habseligkeiten, die sie bei sich hatten, war im Kofferraum mehr als genug Platz. Das ukrainisch-russische Paar quetschte sich auf die Rückbank, Azis setzte sich auf den Beifahrersitz und Samir hinters Steuer.
»Also Artjom, du bloggst, richtig? Machst du das beruflich oder ist das nur ein Hobby?« Für Samir brauchte Azis nicht zu übersetzen.
»Ein Hobby? Ich bekomme dafür kein Geld, ich kämpfe für die Freiheit! Ich übersetze englischsprachige Informationen aus dem Westen auf Russisch, damit meine Landsleute endlich begreifen, dass sie die ganze Zeit belogen werden. Dort werden überall im Fernsehen und in den Zeitungen Lügen erzählt über den Westen. TV Doschd ist verboten! Wer die Wahrheit sagt, kommt ins Gefängnis oder schlimmer noch ins Straflager und wird gefoltert wie Nawalny. Das dürfen die Leute sich nicht länger gefallen lassen und müssen sich endlich zur Wehr setzen. Menschen werden eingesperrt und gefoltert, nur weil sie eine andere Meinung haben als Putin!«
Beim Wort »Putin« zuckte Yakov zusammen.

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Bookdate Contest: Zu Hause

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Zu Hause

Der Schlüsselbund liegt verändert und doch vertraut in meiner Hand, als ich das noch ungewohnte Schloss öffne und mir der Geruch frischer Farbe entgegenweht. Zeitungspapier raschelt unter meinen Schuhsohlen, als ich mein neues Apartment betrete. Dieser Schritt musste sein, raus aus der gemeinsamen Wohnung, die vom Schweigen überfüllt war. Raus aus dem goldenen Käfig. Mehr als eine Wohngemeinschaft war das nicht mehr, was von unserer Ehe übrig geblieben war, und zuletzt hing immer öfter der Haussegen schief. Dass er sich jetzt ständig mit seinem neuen Freund trifft, schneidet mir immer noch ins Herz.
Ich schneide ebenfalls, und zwar die mitgebrachte Pizza in mundgerechte Happen, bevor ich mich auf der Trittleiter niederlasse und die Schachtel auf einem Umzugskarton ablege. Dies hier ist mein Reich. Hier putze ich nur meinen Dreck weg, hier gibt es keinen Streit darüber, wer zuletzt die Spülmaschine ausgeräumt hat und warum die Fenster immer noch nicht sauber sind. Keine gegenseitigen Verletzungen. Vor allem wird es ordentlich sein. Meine Seele atmet auf bei diesen Gedanken.

Am nächsten Morgen habe ich Muskelkater vom Schleppen der Kartons, aber seit Langem endlich wieder gut geschlafen. Die Aussicht vom Schreibtisch an die Raufasertapete ist noch ungewohnt, das Grün der Bäume fehlt mir, als ich meine Unterlagen fürs Einwohnermeldeamt zusammenstelle. Auf dem Formular pendelt mein Blick hin und her zwischen den Kästchen zum Familienstand. Noch muss ich Lebenspartnerschaft ankreuzen, aber es fühlt sich nicht mehr richtig an. Ich bin angekommen in meinem neuen Leben als Single, auch wenn der Amtsschimmel hinterhertrottet.

Bei meiner Rückkehr empfängt mich mein Name am Klingelschild. Nur meiner.
Endlich Zuhause. Endlich frei.


Diesen Text habe ich, passend zum gestrigen Valentinstag, in meinem Instagramprofil gepostet, weil dies Bestandteil des derzeit laufenden Wettbewerbs von BoD zum Thema „Ich bin angekommen.“ ist.

Und prompt liefen meine Telefone heiß. *lach

Okay, das ist weit übertrieben. Aber ein Freund fragte mich ebenso überrascht wie besorgt, ob wir uns getrennt hätten. Nein, haben wir nicht.

Eine Geschichte ist eine Geschichte ist eine Geschichte.

Manchmal muss ich das dazusagen, weil häufig das literarische Ich mit dem des Autors gleichgesetzt wird. Gerade bei authentischen Texten.