
Für dieses Quartal haben wir uns ein Thema ausgesucht, zu dem Bess mir eine wunderschöne Kurzgeschichte zur Verfügung stellt. Lasse ich sie doch gleich selbst zu Wort kommen:
Ich musste lange überlegen, was ich zum Quartalsthema Herzensangelegenheiten schreiben wollte, aber letztlich gibt es wenig, was mir so sehr am Herzen liegt wie Musik, daher folgt nun eine frei erfundene, aber vom Leben inspirierte Kurzgeschichte zu dem Thema.
God was never on your side. Mit seiner Reibeisenstimme warf mir Lemmy Kilmister diese Worte entgegen. Die zitternden Hände hatte ich um das Lenkrad geklammert und starrte auf die Straße. „Ich weiß, wir reden nicht oft.“ Der Scheibenwischer schabte über die mit feinen Tropfen übersäte Frontscheibe. „Aber wenn du ihn mir jetzt wegnimmst, dann sind wir wirklich geschiedene Leute.“ Geräuschvoll zog ich die Nase hoch. „Hörst du mich, Gott?“
Ein Ruck fuhr durch den Wagen, als ich Gas gab und auf die Staatstraße von Landshut einbog. Für gewöhnlich grölte ich Motörheads pessimistische Ballade mit, heute wischte ich sie weg. Nächster Song, Handy, bitte. Die melancholischen Klänge von Farewell von Apocalyptica brandeten über mich hinweg wie eine gewaltige Welle aus der Furcht, die mir in den Knochen steckte. Lähmende, am Rand zur Panikattacke balancierende Furcht, weil sie ihn in der Notaufnahme gleich dabehalten hatten. Und ich nicht wusste, nicht wissen wollte, wie es ohne ihn weitergehen sollte. Ich fingerte nach dem Handy und wischte auch diesen Song weg. Tränen sammelten sich in meinen Augenwinkeln.
Verdammte Heulsuse, du fährst Auto! Konzentrier dich gefälligst. Wer bringt ihm sonst die Tasche mit dem Schlafanzug, der Zahnbürste und der Switch? Hast du nicht extra noch beim Müller angehalten, um dieses Assassin’s-Creed-Spiel zu kaufen, obwohl du geschworen hattest, kein Geld mehr für Videospiele auszugeben, bis der Wagen abbezahlt ist?
Aber vielleicht siehst du ihn heute das letzte Mal. Vielleicht …
„Halt den Mund!“, schrie ich und war doch ganz allein im Auto.
Ich schlug auf das Lenkrad und fluchte. Jetzt erst bemerkte ich die epischen Akkorde von Glory to the Brave. Viel zu leise, um der Macht von Hammerfall gerecht zu werden, und doch dröhnte der Song in meinem Schädel.
Ist das eine Botschaft, Gott?
Wieder zog ich die Nase hoch. Schluchzte. Bremste scharf und bog in die Haltebucht des Schulbusses ein. Meine Finger waren zu tränenfeucht, um das Display zu bedienen. Fast entglitt mir das Gerät, während Joacim Cans‘ Stimme sich zärtlich um mein Herz legte und es wie einen Schraubstock zusammendrückte, bis ich nicht mehr atmen konnte.
„Beruhig dich“, flüsterte ich. „Er schafft das.“
Wie ein Mantra betete ich mir diese beiden Sätze vor und konnte endlich zum nächsten Song weiterwischen.
Janis Joplin. Ich erinnerte mich noch gut daran, als ich Me and Bobby McGee zum ersten Mal gehört hatte.
Wir sitzen am Küchentisch. David gerade ein Vorschüler, Helen auf meinem Schoß, hoch konzentriert an einem Stück Brot saugend.
„Das wird dir gefallen“, sagt Tom und schmunzelt. Er legt die Kassette ein und drückt auf Play.
Die Gitarrenakkorde setzen ein, kurz darauf die markante Stimme dieser einzigartigen Frau, die viel zu früh gegangen ist. Der Song baut sich auf, windet sich wie ein Satinband um meine Kehle und schnürt sie liebevoll zu. Ein warmes, prickelndes Summen breitet sich in meinem Körper aus und weckt eine tiefe Sehnsucht nach etwas, von dem ich nicht wusste, dass ich es vermisse.
Das Piano der vorgetäuschten Fröhlichkeit gesellt sich zu Gitarre, Hammondorgel, Schlagzeug und ihrer Stimme, die meine Seele verschlingt und zu jeder Pore meines Seins wieder hinausdrängt. Und plötzlich ist es vorbei.
„Mama, warum weinst du denn?“ David sieht erschrocken aus.
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