SGZ 90 LAUSCHEN

SGZ 90 LAUSCHEN

Ich will wirklich nicht beklagen, doch ohne zu lauschen kann ich dich hören und fast zu jeder Tageszeit sagen, was du gerade tust. Du bedrängst mich mit deinem Lärm. Ob du deine Spülmaschine aus- und das Geschirr in den Schrank einräumst – ich höre das Klirren der Teller –, ob du den Fernseher mal wieder dreimal so laut stellst, weil du glaubst, ich höre dann nicht den Kurzfilm für Erwachsene, der auf dem anderen Gerät läuft und deine eigenen Lustlaute oder ob du einfach nur hustest oder mit einem Ächzen vom Sofa aufstehst. Ich höre alles! Und ich will es nicht hören!
Ich habe ein Recht auf akustische Privatsphäre.
Damit meine ich: Wenn die Wand so dünn ist wie Papier, dann hörst du ja auch mich. Oder bist du einer von denen, die mir dann im Treppenhaus ganz erstaunt sagen, dass sie nie wissen, ob ich überhaupt zu Hause bin? Ich bin es meistens, da ich zu Hause arbeite. Ich bin gerne drin, in meinen eigenen vier Wänden fühle ich mich wohl. Draußen ist doof. Da ist so viel von allem, das macht mich ganz fertig. Beim Einkaufen wird mir schlecht von all den Geräuschen, Gerüchen und der schreienden Werbung, den Remplern von den Lauten, den Unaufmerksamen. Nur, falls du das wirklich wissen und mir nicht nur mein Leisesein vorwerfen wolltest.
Ich weiß, dass ich nicht alleine bin. Es gibt sie, die anderen Leisen. Ich höre sie nicht, aber ich sehe sie. In der Fußgängerzone erkenne ich sie daran, dass sie den anderen Leuten ausweichen, bevor sie von denen überhaupt wahrgenommen wurden.
Wir sind unsichtbar für die anderen. Wir wären die optimalen Lauscher, aber so etwas zu tun widerstrebt uns zutiefst. Wir sind diskret.
Ich würde mich gerne öfter mit euch treffen, weil ihr mich nicht überfrachtet, ihr Leisen. Am liebsten würde ich mit euch zusammen in einem Büro sitzen, wo jeder in seinem eigenen Raum auf seine ihm eigene ruhige Art arbeitet. Wir wären bestimmt ein super Team!
Wir könnten natürlich schon irgendwie, uns umhören, ganz passiv. Was uns zugetragen wird, das ist ja nicht erlauscht. Und wenn dann jemand etwas fragt, dann ist das ja nicht gleich tratschen, oder? Aber dafür sollten wir dann Geld nehmen. Sonst kommen einfach zu viele und wollen wissen, wo der Frosch die Locken hat. Das können wir nicht riskieren, dass wir ausgenutzt werden.
Das Unternehmen nennen wir dann sicherheitshalber »Lausch-Ende« und nicht »Lauschende«. Nur, damit es keine Missverständnisse gibt.

Wörter: 403

Und hiermit verkünde ich: Über 25.000 Wörter gesamt!

Ich weiß, Quantität ist nicht Qualität, aber es ist ne hübsche, runde Zahl, die zeigt, was man mit nur einer Stunde Schreibzeit am Tag so alles schaffen kann – eine halbe Romanlänge. Lässt sich nicht 1:1 übertragen, gibt aber einen Anhaltspunkt, finde ich. Auf, zum Endspurt!