
Lange Jahre ist das her, da verbrachte ich meine Zeit auf einem Internat. Zuvor hatte ich sämtliche Bücher von Enid Blyton über Dolly, eine Internatsschülerin, verschlungen, die jedes Jahr eine Mitternachtsparty feierten …
Die Realität unterschied sich dann doch etwas von der Fiktion, wie ich leider feststellen musste. Mir fehlten vor allem Rückzugsmöglichkeiten, wie ich sie zu Hause in meinem eigenen Zimmer gehabt hatte. Hier war ich in einem Zimmer mit sechs Mädchen untergebracht, ein Durchgangszimmer zu einem Raum mit vier weiteren. Alle in Doppelstockbetten. Jede hatte also zwei Quadratmeter für sich – sicher noch komfortabler als Hühner in Legebatterien, da wir uns in unserem Trakt ansonsten frei bewegen durften.
Ich entdeckte, dass es im weitläufigen Gang zwischen zwei Schränken eine kleine Ecke gab, die man im Vorbeigehen üblicherweise nicht wahrnahm. Dort kauerte ich dann für eine Weile, wenn ich genug von all dem Trubel um mich herum hatte. Einmal mein Versteck schätzen gelernt, nahm ich auch mal ein Buch mit. Mitunter verbrachte ich Stunden dort.
So kam es, dass eines Tages mein Fehlen beim Abendessen auffiel. Als Rufe nach mir laut wurden, wagte ich mich nicht hervor. Erst als die Erzieherin mich entdeckte und grob an mir riss, gab ich es auf.
Noch am selben Tag wurden die Schränke anders arrangiert und mein Versteck verschwand mitsamt meiner Privatsphäre.
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