SGZ 16 HERZLICH

SGZ 16 HERZLICH

Herzschmerz
»›Herzlich willkommen‹, ›herzlichen Glückwunsch‹, ›herzliches Beileid‹ – das sind doch alles blöde Floskeln! Ich will so was nicht auf meiner Karte.«
»Willst du eine eigene Karte schreiben, ist es das, was du willst, ja?«
»Nein! Ich will gar keine Karte schreiben müssen.« Sie wandte sich von mir ab, nur um sich als Nächstes an meiner Schulter anzulehnen. »Ach, ich weiß auch nicht.«
»Empfindest du Herzlichkeit?«
»Natürlich! Ich nehme mit ganzem Herzen Anteil.«
»Die Formulierung ist gut. Die nehmen wir.«
»Ja? Aber warum legt sie die Beerdigung ausgerechnet auf ihren Geburtstag? Was soll das denn? Warum, Clara? Warum?«
»Ich denke mal, damit sie die Leute nur einmal sehen muss und ansonsten ihre Ruhe hat. Aber das ist natürlich nur geraten. Du kennst deine Mutter besser.«
»Du bist die Psychologin!«
»Das heißt aber nicht, dass ich allwissend bin.« Ich nahm den Zettel mit dem vorbereiteten Text für die Karte zur Hand. »Also: ›Liebe Mutter, ich nehme mit ganzem Herzen Anteil. Deine Antonia.‹«
»Nein! Schnörkellos, nur der Satz: ›Ich nehme mit ganzem Herzen Anteil.‹. Unterschriften von uns beiden und fertig.«
»Schreibst du oder soll ich?«
Sie setzte sich und hob den Stift mit zitternden Fingern. »Scheiße!« Sie warf den Kuli quer über den Tisch, von dem er auf der anderen Seite herunterfiel.
»Ist gut.« Ich bückte mich, hob ihn auf und schrieb. »So, jetzt deine Unterschrift. Ganz ruhig.«
Sie tat wie geheißen. »Ich hätte auch noch ›Schmerzliche Grüße‹ drunterschreiben können.« Ihre Mundwinkel hoben sich leicht. »Das ist wenigstens kreativ.«
»Da kommt dein Humor. Das ist gut.« Ich lächelte.
Und Antonia lächelte.

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