
Blut ist dicker als Wasser
»Diese bucklige Verwandtschaft kommt mir nicht ins Haus!«, keifte Ella.
»Welches Haus?«
»Du weißt, was ich meine. Das hier ist meine Wohnung!«
»Unsere Wohnung. Und es sind meine Eltern.«
»Und Geschwister und Tanten und Onkel und Cousins und Cousinen – es sind einfach zu viele.«
»Du übertreibst total! Du weißt genau, dass nur mein Bruder und meine Eltern zugesagt haben. Außerdem geht es nur um ein Abendessen. Sie wollen hier ja nicht übernachten.«
»Es ist egal, ob sie übernachten oder nicht, Volker. Ich will sie nicht hier haben und fertig.«
»Ich will aber. Es ist mein Fünfzigster. Ich habe sie eingeladen. Und ich werde meine Einladung nicht zurückziehen.«
»Gut, dann ziehe ich aus!« Ellas Augen funkelten.
»Das wagst du nicht!«
»Ich ziehe so lange zu meiner Schwester, bis sie wieder weg sind.«
»Findest du nicht, dass du übertreibst?«
»Nein, finde ich nicht.« Sie verschränkte die Arme.
»Soll ich dann auch ausziehen, wenn dein Yoga-Kurs hier ist, deine Tarot-Freundinnen und dein Drechsel-Coach?«
»Das ist was anderes. Das sind Freunde, keine Verwandtschaft.«
»Was ist denn daran so anders? Das sind Menschen, die du gerne um dich hast.«
»Ganz genau! Ich habe sie gerne um mich, Volker. Ich lade sie nicht aus Verpflichtung heraus ein.«
»Du glaubst … ich liebe meine Geschwister und meine Eltern. Meine ganze Familie. Sie stehen mir näher als der Kegelklub und andere, mit denen ich meine Freizeit verbringe – von Geburt an.«
»Aber mich mögen sie nicht!«
»Ich glaube eher, du magst sie nicht!«
»Du hast sie lieber als mich!« Tränen rannen Ellas Wangen hinab. »Nie komme ich zwischen euch. Jede Woche telefonierst du mit ihnen, für mich hast du kaum Zeit. Du vertraust ihnen Dinge an … mir gegenüber bist du immer so verschlossen.« Sie schniefte. »Ich bin deine Frau, ich sollte die wichtigste Person in deinem Leben sein. Du bist auch das Wichtigste für mich.«
»Deine Welt dreht sich nur um mich. Ich habe dir schon so oft gesagt, wie ungesund das ist. Ich verstehe nicht, warum du nicht mehr Zeit mit deinen Freunden verbringst, anstatt mir ständig in den Ohren zu liegen. Aber immerhin hast du mittlerweile eigene Freunde, das ist schon ein Fortschritt!«
»Du bist so ein egoistisches Schwein! Ich gehe jetzt zu meiner Schwester! Sofort!« Ella zog den Koffer unter dem Bett hervor, warf ihn darauf und stopfte wahllos Kleidungsstücke hinein.
Volker ging, setzte sich an seinen Schreibtisch und begann eine kurze Mail an seinen Bruder.
Wörter: 406