
Anfänge
»Bitte schauen Sie sich doch wenigstens den Anfang meines Manuskripts an. Herr Thomas! Nur die ersten vier Seiten!« Ich hielt es ihm entgegen.
Ein unwilliges Brummen seinerseits, während er weiter durch den Gang eilte.
Ich hielt mit ihm Schritt und versuchte, mich an meinen Pitch zu erinnern. Putzfrau in einem Verlagshaus kommt als Bestsellerautorin groß raus. Nein, das war zu offensichtlich, dass es sich um meinen eigenen Traum von einer Schriftstellerkarriere handelte.
»Herr Thomas!«
»Wissen Sie, wie viele erste Seiten ich mir jeden Tag ansehen muss? Und Sie halten mich ausgerechnet auf dem Weg in den Feierabend auf.«
Ich sah zurück zu meinem Karren mit den Putzmitteln.
»Es geht um … äh …«
Er blieb stehen. »Sie haben einen Satz.«
Ich schluckte. »Millionenschwere Autorin blickt auf ihre Anfänge als Putzfrau eines Verlagshauses zurück.«
»Und wovon träumen Sie nachts?« Er machte einen weiteren Schritt in Richtung Kantine.
»Was meinen Sie, wovon viele Leserinnen träumen? Viel Geld durch harte Arbeit!«
Erneut drehte er sich mir zu. »Der erste Satz.«
»Wie bitte?«
»Wie lautet der erste Satz ihrer Geschichte?«
»Zitrone.«
»Nicht das erste Wort, der erste Satz.«
»Das ist der erste Satz, Herr Thomas. Nur ein Wort. Zitrone. Punkt.«
»Der zweite?« Ungeduldig wippte er mit dem Fuß.
»Dieser Duft begleitete mich.«
»Geben Sie her!« Er riss mir das erste Blatt aus der Hand.
Er stand stumm da, las offenbar interessiert – seine Augenbrauen bewegten sich bei seinem Mienenspiel – und streckte nach einer Weile wortlos die freie Hand aus.
Ich reichte ihm das zweite Blatt.
Am Ende des zweiten Blattes hob er den Blick. »Ich sehe es mir in der Mittagspause an.«
Ich vertraute ihm den einzigen Ausdruck meines gesamten Manuskripts an. Dann setzte ich meine tägliche Runde durch die Büros fort.
Ein halbes Jahr später erhielt ich einen dicken Umschlag vom Verlag. Darin war mein Manuskript, versehen mit unzähligen Anmerkungen. Ich investierte jede freie Minute, um alles zu überarbeiten, als ich eines Freitags am späten Abend noch einen Anruf vom Verlag erhielt. Ob ich nicht am Vertrag interessiert sei? Den hatte irgendein Praktikant ganz ans Ende des Papierstapels gelegt, sodass ich fast die Frist versäumt hätte. Doch, natürlich! Und wie ich das war! Ich unterzeichnete noch am selben Abend, schwang mich aufs Fahrrad und gab das Dokument persönlich ab.
Das war der Anfang meines Lebens als Autorin.
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