Wählt Liebe!

Wählt Liebe!

Moin zusammen,

ich melde mich heute außer der Reihe, weil ich darum gebeten worden bin, mich zu einem Thema zu äußern, das mir tatsächlich sehr am Herzen liegt.
(Den Artikel habe ich ursprünglich für schreibmehr.online verfasst, aber warum nicht auch hier teilen?)

Allerdings hat es erst auf den zweiten Blick mit Schreiben zu tun.
Nämlich dann, wenn es um die Freiheit geht. Um die Freiheit, so zu schreiben, wie man möchte, und über die Themen, die einen persönlich bewegen.

Mein Gefühl dazu ist Angst. Blanke Existenzangst.
Ich muss allerdings etwas ausholen.

Heute ist Valentinstag. Gestern habt ihr eine Geschichte von mir gelesen, in der es um Liebe geht. Um die Liebe zweier älterer Menschen, eines Mannes und einer Frau.

Das ist ein Teil meiner Lebenswelt, denn das ist das, was meine Eltern mir vorgelebt haben, die sich jung kennenlernten und 42 Jahre miteinander verheiratet waren, bis mein Vater an Krebs starb.
Ein heteronormatives Leben, ein Bilderbuchleben mit Haus, zwei Autos, zwei Kindern und Hund.

Ich selbst lebte hetero, heiratete im Beisein meiner Familie meinen ersten Mann und alles schien gut. Es kam aus verschiedenen Gründen, die nichts mit meinem Geschlecht zu tun hatten, zur Scheidung.

Nach Geschlechtsangleichung schwul

Bärtiger Brillenträger Kopfhörer tragend, bekleidet mit weißem Hemd, die oberen Knöpfe offen, steht vor einer Wand aus Rosenblüten.

Eines Tages hielt ich das Versteckspiel nicht mehr aus und offenbarte, dass ich mich zu einer Geschlechtsangleichung entschieden hatte, weil ich anders nicht weiterleben konnte.

Ich spare jetzt Details aus, relevant ist hier nur:
Ich änderte meinen Vornamen und meinen Geschlechtseintrag.

Nun galt ich vor dem Gesetz als Mann und die medizinische Behandlung sorgte dafür, dass meine Mitmenschen mich heute auch als Mann erkennen können.

Das Ergebnis ist, dass ich jetzt als schwul gelesen werde.
Ich fühle mich in der schwulen Szene auch willkommen, weil ich dort sehr herzlich aufgenommen wurde.

Bei meiner zweiten Heirat waren meine Eltern nicht dabei, weil sie meine Einladung ausgeschlagen haben. Mein Vater hatte sich die von mir geplante Hochzeit irgendweshalb als eine Art Drag Party – so wie man den CSD in den Nachrichten sieht – vorgestellt und wollte bei so etwas nicht dabei sein. Meine Mutter wollte ihm nicht in den Rücken fallen.
Ich liebe meine Eltern und das meine ich nicht nur ironisch.

Jetzt wisst ihr, warum ich etwas zwischen den Stühlen sitze, weil ich mich tatsächlich dazu entschieden habe, nicht länger so zu tun, als sei ich eine Frau und damit bewusst alle Konsequenzen eingegangen bin, die damit verbunden sind, als Mann Männer zu lieben.
Andere schwule Männer haben diese Wahlmöglichkeit nicht.

Trans* Menschen haben aber auch nicht wirklich eine Wahl. Man sucht sich nicht aus, aus der Rolle zu fallen. Es ist keine Lifestyle-Frage. Es geht ums Überleben.

Meine Meinung als mehrfach marginalisierter weißer Deutscher zur gegenwärtigen politischen Lage

Well, ich bin also ein herzschwacher schwuler behinderter pflegebedürftiger Rollstuhlfahrer, der trans* ist und sich zu den Tönen aus Amerika äußern soll, von denen er nur in groben Zügen was mitgekriegt hat, weil er son Mist nicht verträgt.

Ok, aber gerne:
• Ich finds kacke, wenn trans* Frauen vom Sport ausgeschlossen werden, nur weil sie trans* sind oder – schlimmer noch – man ihnen ihr Frausein aberkennt und sie als Männer darstellt. Selbstredend gefällt mir auch nicht, wenn trans* Männer vom Sport ausgeschlossen werden, weil sie trans* sind.
Hier kann ich aber nachvollziehen, dass cis Frauen nicht gegen trans* Männer antreten möchten, schließlich gilt Testosteron als Doping.
Bei trans* Frauen verhält es sich jedoch umgekehrt; durch die Umstellung auf Östrogen sind sie cis Männern gegenüber benachteiligt und hier verstehe ich nicht, warum sie nicht mit cis Frauen zusammen antreten dürfen sollten.
• Ich finde TERFs kacke, auch Schriftstellerinnen. Ihr wisst vielleicht, wen ich meine.

Und zu Deutschland:
• Ich finde es kacke, dass drei Parteien für den Bundestag kandidieren, die sich ins Wahlprogramm geschrieben haben, das SBGG abschaffen zu wollen.
• Ich finds kacke, dass es zwei Parteien gibt, die das sogenannte »Gendern« verbieten wollen.
• Ich finds schade, dass es nur zwei Parteien gibt, denen bewusst ist, dass es mehr als zwei Geschlechter gibt – auch wenn ich persönlich mich als eindeutig männlich identifiziere, also binär bin. Wenns nur nach mir ginge, bräuchten wir nur zwei Geschlechter, aber ich bin eben nicht alleine auf der Welt.
• Ich finde es kacke, dass es eine Partei gibt, die es ernsthaft begrüßt und straffrei stellen will, wenn Menschen permanent misgendert werden.
• Auch wenn ich persönlich nie eine Straftat begangen habe, finde ich es genauso daneben, Straftätern ihr Recht auf korrekte Anrede absprechen zu wollen.
• Ich finds kacke, wenn Gelder für LGBTIQ+-Projekte zusammengekürzt oder sogar gestrichen werden.

Bitte entschuldigt die vielen Wortwiederholungen, aber bei Schimpfwörtern bin ich nicht besonders einfallsreich, weil ich sie normalerweise nicht brauche.

Ich blicke in andere Länder mit Sorge

Wenn ich in andere Länder schaue, dann macht mir das Angst, wenn ich sehe, in wie vielen Ländern man mittlerweile bedroht ist, wenn man nicht ins heteronormative Konzept passt.

In 63 Staaten wird Homosexualität noch strafrechtlich verfolgt, in 12 Ländern droht sogar die Todesstrafe für Lesben und Schwule.

Quelle: https://www.lsvd.de/de/ct/1245-LGBT-Rechte-weltweit

Die USA sind für die Weltpolitik nach wie vor sehr prägend. Natürlich hat das einen schlechten Einfluss auf die anderen Länder, wenn dort die Republikaner an der Macht sind.
Aber auch in Europa gibt es zunehmend Länder, in denen sich die Rechtslage zuungunsten der queeren Community verändert.

Wie es in Deutschland weitergeht, werden wir nach der nächsten Bundestagswahl erleben.
Ich bin hier geboren, ich bin nicht reisefähig, ich bin auf die medizinische Behandlung hier angewiesen. Ich kann nirgendwohin.
Aber um mich selbst geht es mir schon lange nicht mehr.

Bitte geht wählen!

Morgen ist ein bundesweiter Aktionstag zum Thema.
Ich habe mir eine Begleitperson organisiert, um in Hamburg zusammen mit der queeren Community für unsere Demokratie zu kämpfen.
Das wird mich noch mehr Schmerzen und Tage bis Wochen im Bett kosten, eventuell sogar eine bleibende Zustandsverschlechterung, aber das ist es mir wert.
Hier ist eine Liste, welche Demos es wo gibt: https://www.waehl-liebe.de/demonstrationen/

Ihr müsst nicht auf die Straße, ihr müsst nur am 23. Februar 25 euer Kreuz richtig setzen, wenn ihr die Demokratie behalten wollt.
Wer nicht wählen geht, wählt, seine Freiheit aufzugeben.

Euer Ingo S. Anders

Mann mit Brille und Bart im karierten Hemd vor schwarzem Hintergrund. Er lächelt dezent.

Meine Webseite: ingoschreibtanders.blog
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Bildhinweis: Das Beitragsbild „Bookies gegen rechts“ stammt von der Webseite https://silbenflug.de/bookiesgegenrechts und steht nicht im direkten Zusammenhang mit der Bundestagswahl.

Rezension: Tobaksplitter (Ingo S. Anders)

Rezension: Tobaksplitter (Ingo S. Anders)

Tobaksplitter – Sammlung kurzer Geschichten
Ingo S. Anders

Kurze Geschichten
115 Seiten
Druckbuch 8,99 EUR, ebook 2,99 EUR
2. Auflage, Oktober 2021

Was tut er denn da? Rezensiert er sich jetzt schon selbst? Ja, das tut er.
Die Veröffentlichung von Tobaksplitter ist jetzt drei Jahre her und da es mein Debüt war, habe ich dabei einige Fehler gemacht. Nicht nur, dass ich den völlig überstürzten Launch nicht richtig gefeiert habe, weil ich keinen Kontakt zu Bloggenden hatte, die mich hätten unterstützen können:
Niemand weiß so wirklich, was ihn bei dieser bunten Zusammenstellung erwartet. Das habe ich auch bei den Gästezahlen bei Lesungen und bei der Lesungsakquisition gemerkt. Ich will jetzt versuchen, dies nachzuholen, indem ich tiefere Einblicke ins Buch gewähre, die über die Leseprobe, bei der man nur die ersten Texte beschnuppern kann, hinausgehen.
Möge also der 3. Buchgeburtstag dazu führen, dass Tobaksplitter laufen lernt!

Ersteindruck

Buchcover: Schwarzer Anzug, weißes Hemd, silbergrau karierte Krawatte, Text: Ingo S. Anders, Tobaksplitter, Sammlung kurzer Geschichten.
(c) A&K Coverdesign

Das Cover war ein Premade, in das ich damals schockverliebt war. Heute weiß ich nicht, ob ich es noch mal wählen würde. Man hat mir schon gesagt, es passe nicht zum Inhalt.
Für mich schien es passend, weil ich mich, versteckt in einem Herrenanzug, der für mich auch eine Art Schutzpanzer darstellt, das erste Mal ins (pinke) Rampenlicht gewagt habe.

Klappentext

Von der Psychiatrie durch menschliche Abgründe über Transsexualität bis hin zu Kindheitserinnerungen: Durch diese Sammlung kurzer Geschichten zieht sich ein roter Faden. Je mehr man von ihnen liest, desto näher kommt man dem Wesen des Autors. Diese Texte und Fragmente, ob erfunden oder wahr, sie sind nicht artig, sondern eigen und auf ihre Art anders.
Splitter für Splitter zeigen sie ein Bild von Ingo S. Anders.

Lektüre

Schauen wir uns jetzt die einzelnen Texte näher an. Wirklich viel kann ich nicht verraten, weil viele der Texte wirklich sehr kurz sind (ein oder zwei Buchseiten), aber wir können gemeinsam etwas stöbern.

Zum Buch insgesamt kann ich euch sagen: Das war mein allererstes eigenes Buch! Ich war mega aufgeregt, als ich es Hals über Kopf veröffentlicht habe. Dabei ist eine Menge schief gelaufen und das meiste davon geht auf meine Kappe. Klar, hinterher ist man immer schlauer. Trotzdem bin ich sehr stolz auf mein Werk und lese immer gerne daraus vor.

Die Geschichten sind übrigens alle zwischen 2006 und 2021 entstanden. Für mich ergibt sich ein roter Faden, weil die Geschichten der vier verschiedenen Themenblöcke – Psychiatrie, Identitätssuche, trans* und Kindheitserinnerungen – jeweils zusammengehören und für mich den Abschluss mit den jeweiligen Themen bilden, die ich mit den Geschichten aufgearbeitet habe.

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Rezension: Love and other Handicaps (Vaelis Vaughan)

Rezension: Love and other Handicaps (Vaelis Vaughan)

Titel: Love and other Handicaps – Von heißen Pflegern, fetten Lügnern und komischen Fantasie-Diagnosen
Autor:in
: Vaelis Vaughan
Genre: Gay Romance
336 Seiten
Gebundenes Buch 21,26 EUR, Taschenbuch 13,26 EUR, ebook 4,99 EUR
Erschienen am 05. Mai 2023

Ersteindruck

Ich gebe es zu, dass ich solche Nackedeis auf Buchcovern eher abstoßend als anziehend finde. Ich hatte aber einen Grund, mir die Leseprobe zu besorgen. Irgendwie war ich auf das Buch aufmerksam geworden, ich glaube, durch eine Rezension auf Insta oder durch #allabendlichqueer.
Als ich dann zum Arzt ging und von dort aus gleich mit Taxi ins Krankenhaus geschickt wurde, war ich froh, mein kindle fürs Wartezimmer eingesteckt zu haben.

Klappentext

Hackedicht bis in die Haarwurzeln flutscht Leo von einem Brückengeländer, landet erst in der kalten Spree und anschließend im Rollstuhl. Dieser äußerst unerfreuliche Zwischenfall passt nicht wirklich in seinen Zeitplan, und dann verordnet ihm der Arzt auch noch eine elendig lange Reha, auf die er mal so gar keinen Bock hat. In Leos Augen sind Rehas nämlich was für dicke Kinder mit Asthma oder rheumageplagte Rentner. Er, ein junger Mann in der Blüte seines Lebens und noch dazu ein Arbeitstier, will nichts weiter als zurück an seinen Schreibtisch. Leider lässt ihm der Doc keine Wahl, denn dieser sieht einen Zusammenhang zwischen dem Unfall und der Tatsache, dass Leo erst kürzlich von seinem Lebenspartner verlassen wurde. Aus diesem Grund bescheinigt er ihm auch noch eine Depression und gibt nicht nach, bis Leo in die physische und psychologische Weiterbehandlung einwilligt. Als er vor Ort den Stahlschnitten-Pfleger Elgar kennenlernt, wird die Sache aber doch noch interessant.

Suchst du eine lockere, fluffige Geschichte mit viel Humor und einem Hauch Liebeskitsch für die Seele? Magst du authentische, schwule Protagonisten, die auf liebenswerte Weise einen an der Klatsche haben? Dann ist diese Story genau richtig für dich!

Lektüre

Richtig fies war, dass ich nüchtern bleiben musste und da Leo sich in der Reha befindet, spielt was gefühlt die Hauptrolle? Richtig: Essen! Essen ist das Highlight des Tages in Krankenhäusern, warum also nicht auch in der Reha.

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Wer die Wahl hat, sich zu verstecken

Wer die Wahl hat, sich zu verstecken

Man wollte nicht mit mir gesehen werden, als ich noch kein Passing hatte, aus Angst, dann auch für trans* oder schwul gehalten zu werden. Ich verstand das nicht. Jetzt verstehe ich.
Wer Angst hat und die Wahl, sich zu verstecken, wird das tun.

Viel Zeit verbringe ich zu Hause an meinem Schreibtisch. Meist deshalb, weil ich mich dort wohlfühle innerhalb meiner Komfortzone. Ich kann mich schreibend der ganzen Welt mitteilen und weil mein Computer mobil ist, kann ich mein Zuhause überallhin mitnehmen.
Doch an diesem Tag im Jahr 2022 saß ich vor Angst wie gelähmt auf meinem Stuhl.

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Weizen, blauer Himmel und ein Kleeblatt

Weizen, blauer Himmel und ein Kleeblatt

»Meinst du, mein Bett reicht aus für die beiden?«, fragte Samir und beäugte die nur einen Meter breite Schlafstatt skeptisch.
»Na klar, Yakov und Artjom sind doch ein Paar. Ist ja nicht wie bei uns. Bringt bestimmt Leben in die Bude«, sagte Azis mit einem Augenzwinkern.
Der junge Syrer schenkte dem Deutschtürken ein Lächeln. Vor sieben Jahren hatten die beiden sich über den Queer Refugee Support kennengelernt, als Samir dringend nach einer sicheren Bleibe gesucht hatte. Wo er keine Angst haben musste, wegen seiner Homosexualität angegriffen zu werden. Bei Azis hatte er sich sofort wohlgefühlt und ungewöhnlich schnell Vertrauen gefasst. Bald hatten sie sich angefreundet und so war aus der provisorischen Wohngemeinschaft eine dauerhafte geworden.

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