SGZ 72 LINSEN

SGZ 72 LINSEN

Die Kontaktlinse
»Guten Tag, ich hätte gerne eine Kontaktlinse.«
»Nur eine?«
»Ja, ich lebe allein.« Ich war keiner von diesen jungen Leuten, die diese Geräte auf Parties fürs Dating missbrauchten.
»Wissen Sie, wie man die einsetzt?«
»Ja.« Ich war doch nicht von gestern. »Man steckt sie in die Hosentasche. Nähert sich eine Person, die ebenfalls Kontakt sucht, vibrieren unsere Linsen.«
»Reicht eine einfache Linse oder benötigen Sie eine, die auch Kontaktfreude auslöst?«
»Letzteres bitte.« Ich lebte schon zu lange allein. Ich war etwas aus der Übung. Es hatte mich schon einiges an Überwindung gekostet, überhaupt dieses Geschäft aufzusuchen. Normalerweise bezog ich alles übers Internet, aber dieser Artikel war auf zur Zeit nicht lieferbar.
Ich bezahlte, verließ die Innenstadt und machte mich auf die Suche. Dreißig Jahre war das her, dass ich zuletzt das Gebäude aufgesucht hatte, in dem ich zur Schule gegangen war. Es konnte nicht mehr weit sein, denn das soeben erstandene Gerät begann zu vibrieren. Jetzt freute ich mich schon richtig auf das Wiedersehen mit meinen alten Klassenkameraden.
Das Vibrieren wurde stärker, je näher ich kam, und meine Vorfreude wuchs. Ich regulierter die Intensität, damit ich nicht in einen Rausch verfiel.
»Xaver!« Sie winkte mir zu.
»Die Marie! Ist das eine Freude, dich zu sehen.« Herzlich schloss ich sie in die Arme.

Am nächsten Morgen wachte ich in einem fremden Zimmer neben einer beleibten Dame auf. Richtig, Marie. Doch wie war das passiert? Hatte ich die Aktivität der Kontaktlinse nicht auf zwei Stunden Dauer begrenzt?
Hastig sprang ich aus dem Bett und kleidete mich an.
Sie erwachte. »Du willst schon gehen?«
»Ja, ich muss vergessen haben …« Ich wusste noch, dass ich nach dem Treffen gleich wieder nach Hause gehen wollte. Das hatte ich jedenfalls vorgehabt. Getrunken hatte ich auch kaum. In meiner Tasche fand ich es und das Gerät war aus. Hieß das etwa …?
»Wir haben uns gestern sehr gut unterhalten. Du hast deine Linse ausgeschaltet, um zu prüfen, ob du wirklich aus freien Stücken näheren Kontakt zu mir haben möchtest.«
Ja, jetzt fiel es mir wieder ein. Wow! Ich setzte mich auf die Bettkante. »Und jetzt?«
»Frühstück?«

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