LBM 24 Teil 3: Reisen mit Behinderung

LBM 24 Teil 3: Reisen mit Behinderung

Artikel in dieser Serie
Teil 1: BVjA, Autor:innenrunde und Verlagsspeeddating
Teil 2: Menschen! Verlage! Autor:innen!
Teil 3: Reisen mit Behinderung
Teil 4: Was ich gelernt habe
Teil 5: Tipps zur Vorbereitung auf die Buchmesse

Dies ist kein Grundlagenkurs zum Reisen mit Behinderung.
Dies ist ein Erfahrungsbericht über die von mir erlebte Reise mit dem Blickwinkel einer Person, die nicht dauerhaft auf Unterarmgehstützen angewiesen ist, dafür noch einige andere Einschränkungen im Gepäck hat.

Bin ich auf Hilfe angewiesen?

Als ich in Hamburg auf dem Weg zum Bahnhof war, bepackt mit Handtasche, einem schweren Rucksack und einer schweren Umhängetasche mit meiner Rüsselmaschine (CPAP-Gerät), fiel mir eine meiner Unterarmgehstützen runter. Eine Passantin sah dies und beobachtete meine Versuche, diese mit der anderen Krücke zu angeln. Unsere Blicke trafen sich, sie bot mir keine Hilfe an und wandte den Blick ab. Ich bat nicht um Hilfe. Ich weiß selbst nicht, warum. Eine fremde Person ansprechen … schwierig, mitten in Hamburg. Normalerweise mag ich es auch nicht, Hilfe aufgedrängt zu bekommen.
Letztlich schaffte ich es auch, alleine zurechtzukommen.

Mit einer Reisebegleitung wäre sehr vieles einfacher gewesen. Ich hätte mich aber auch abhängig und eingeschränkt gefühlt. Ich wollte ja mein eigenes Programm durchziehen und nicht auf eine andere Person Rücksicht nehmen müssen.

Zugfahrt

Für die Reise nach Leipzig hatte ich mir eine neue Verbindung aussuchen müssen, weil mein gebuchter Zug ohne Umstieg ausgefallen war. Dafür war die Zugbindung aufgehoben worden. Bei der neuen Verbindung hatte ich darauf geachtet, Umstiege ab 20 Minuten Umstiegszeit auszuwählen, damit ich es auch schaffen kann, ggf. das Gleis zu wechseln. Dies wäre in Wittenberg nicht nötig gewesen.

In der Straßenbahn wurde mir meist sofort ein Sitzplatz angeboten, obwohl die Bahnen so voll waren.

Hotel

Im Hotel erklärte man mir beim Check-in, die Gästetaxe entfiele erst ab einem GdB von 80 (wenn ich mich da nicht verhört habe …). Ich war so müde, ich zahlte die Gästetaxe.

Vor dem Check-out verglich ich die Rechnung mit der Buchungsbestätigung, auf welcher stand, dass die Gästetaxe bei Vorliegen einer Schwerbehinderung nach dem SGB IX entfällt. Eine Schwerbehinderung liegt bei einem GdB von 50 oder mehr vor. Also ließ ich mir die knapp 15 Euro wieder gutschreiben und zeigte der guten Ordnung halber meinen Ausweis vor.
Festgestellt ist meine Schwerbehinderung zwar nicht wegen der vorübergehenden Mobilitätseinschränkung (ich habe keine Merkzeichen), aber das spielt ja keine Rolle für die Taxe.
Ich bin stolz darauf, dass ich im Nachhinein doch mein Recht eingefordert habe.
Das Hotelzimmer war nicht behindertengerecht; ich hatte kein barrierefreies gebucht. Die Toilette war separat vom Badezimmer und so eng, dass ich dort die Krücken nicht verwenden konnte. Ein Zimmerwechsel war mir zu aufwändig und es ging ja irgendwie – mit Schmerzmitteln und Augen zu und durch. Außerdem war ich ja kaum auf dem Zimmer, sondern fast den ganzen Tag außer Haus.
Freitagabend war ich für meinen Geschmack genug gelaufen und ließ mir Essen auf Zimmer kommen, dass ich im Internet bei einem Lieferdienst bestellte. Das Hotel hatte nämlich kein Restaurant.

Bin ich denn wirklich behindert?

Ich habe immer mal wieder das Gefühl, so richtig behindert bin ich ja doch nicht. Was Quatsch ist. Ich habe mich arrangiert, so gut es geht und kenne ein paar Tricks. Ich darf nicht den Fehler machen und mich mit anderen vergleichen, die anders eingeschränkt sind.
Vor der Abfahrt hatte ich einen leichten vermutlich stressbedingten Schub, auch die Knie hatten sich bemerkbar gemacht. Vor allem war mir klar, wenn ich das Gepäck so trage und so viel laufe, dann bekomme ich von dieser Überforderung wieder Gelenksergüsse in den Knien. Diese wollte ich vermeiden.
Samstagfrüh hatte dann so derbe Rückenschmerzen wegen verkrampfter Muskeln bzw. lädierter Bandscheibe, dass ich ohne Hilfsmittel nicht aus dem Bett gekommen wäre. Vor allem auf dem WC war es schwierig, mich hinzusetzen und wieder aufzustehen. Ich habe ja besonders morgens Anlaufschwierigkeiten (Morgensteifigkeit).

Messebesuch mit Mobilitätseinschränkung

Die Leipziger Buchmesse ist gut auf Menschen mit Mobilitätseinschränkung eingestellt. Bei der Einlasskontrolle gibt es eine Tür für Rollstühle, Kinderwagen und alle anderen, die nicht durchs Gatter passen. In der Glashalle gibt es Aufzüge – es gibt extra eine Karte zum Download, auf der alle Aufzüge und behindertengerechten WCs eingezeichnet sind – und die Hallen und das Kongresszentrum sind alle auf einer Ebene miteinander verbunden, man kann also die Treppen und Rolltreppen in der Glashalle umschiffen.
Überrascht hat mich, dass die Behinderten-WCs auch als Wickelraum dienten und so ließ ich es geschehen, dass sich ein Vater vordrängelte, als ich eine Frau ohne sichtbare Behinderung aus dem Raum kommen sah. Entsprechend bestimmt sagte ich dem nächsten Vater, dass ich anstehe.

Für reizempfindliche Menschen ist die Messe so gar nicht geeignet.
In der Glashalle ist es am lautesten, in den Hallen mit den Ständen ist es etwas leiser. Gut erträglich war das Verlagsspeeddating, weil das eine recht kleine geschlossene Gesellschaft war und sich alle ruhig verhalten sollten, die nicht an einem der Tische im Gespräch waren. Bei der Leipziger Autor:innenrunde war es schon wieder lauter, weil es deutlich mehr Menschen waren, die gleichzeitig sprachen. Drin liegt Teppich, draußen sind Fliesen. Wie immer war es damit in den Pausen sehr viel lauter als während des strukturierten Gesprächs.
Ich empfehle erneut, ein Headset als Gehörschutz zu nutzen und Noise Cancellation einzuschalten. Möchte man dann mit jemandem sprechen, kann man umschalten und hört den Gesprächspartner sehr gut, auch wenn alles andere ebenso lauter wird.

Menschen, für die Schlaf etwa wegen einer bipolaren Störung sehr wichtig ist, sollten darauf achten, sich nicht zu übernehmen. Es gibt so viel zu sehen und zu hören, da ist es sehr hilfreich, eine Vorauswahl zu treffen. Ich habe daher auf Lesung und Party verzichtet, um am nächsten Tag früh aufstehen zu können.

Die Bookies sind alle sehr hilfsbereite Mitmenschen und bieten dir an, ein Glas Wasser einzuschenken oder für dich eine Flasche kaufen zu gehen, die Tasse Suppe zum Tisch zu tragen, rücken dir Stühle zurecht etc.
Natürlich gibt es auch Messebesucher, die mit Taschen Stühle blockieren und behaupten, da käme noch jemand, obwohl dann niemand erscheint, bis sie selbst den Tisch verlassen.

Sofort wieder was eingefangen

Noch habe ich mich nicht daran gewöhnt, dass ich durch mein Medikament infektanfällig bin. Ich hätte die FFP2-Maske durchgehend an allen Messetagen und auch bei der Rückfahrt tragen sollen. Jetzt habe ich mir eine Erkältung als Souvenir mitgenommen.

Morgen fasse ich noch mal das Wichtigste zusammen, dass ich bei meinem Messebesuch gelernt habe.

Euer Ingo S. Anders

Meine Kunstadresse.
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