Darstellung von Sucht in Büchern und Filmen ist heute mein Thema. Dies ist noch ein Nachzügler der letztjährigen Reihe.
Um clean zu werden, muss man nicht bis Silvester warten – jeder andere Tag im Jahr ist genauso gut dafür. Vielleicht sogar besser, weil niemand insgeheim darauf lauert, dass Du Deine guten Vorsätze eh wieder nicht einhältst.
Denn ganz ehrlich, es ist doch so: Wenn die anderen sich nicht am Riemen reißen, dann muss ich das auch nicht tun. Oder? Das ist zunächst einmal ein Sozialer Abwärtsvergleich. Man fühlt sich besser, wenn man jemanden findet, der vergleichsweise schlechter abschneidet. Mit diesem Gedankengang schiebt man aber auch die Verantwortung für das eigene Verhalten auf die anderen, die ihre guten Vorsätze ja auch nicht einhalten.
Essen und Zigaretten, Alkohol, Drogen – Konsum in Film und Buch ist alltäglich. Es wird oft so dargestellt, als sei es normal, beispielsweise jeden Abend Wein zu trinken oder nach Feierabend in eine Kneipe zu gehen. Das mit anzusehen oder zu lesen, ist für Suchtkranke, die gerade entziehen wollen, hochtoxisch.
Persönliche Erfahrungen
Nikotin
Ich bin als Passivraucher aufgewachsen und habe 2002, im Alter von 22 Jahren, angefangen, selbst zu rauchen. Seit 2010 bin ich stolzer Ex-Raucher. Ex-Raucher zu sein ist etwas anderes, als Nichtraucher zu sein. Denn ich kenne seitdem das Erleben von Suchtdruck. Das dringende Verlangen, eine Zigarette rauchen zu wollen. So ein Ziehen im Kopf. Wenn ich Rauch einatme von rauchenden Passanten, dann kann dies das auslösen.
Heute noch träume ich immer mal wieder, ich würde wieder rauchen und wache schweißgebadet auf.
Ich habe von den 8 Jahren, die ich geraucht habe, fünf Jahre versucht, aufzuhören. Einmal gelang es mir und ich bekam nach einem Dreivierteljahr einen Rückfall. Ich kam unter starkem psychischen Stress an so einen Scheißegal-Punkt. Mein mir gesetztes Ziel war mir egal. Meine Gesundheit war mir egal. Ich war mir egal. Ich flüchtete mich in das, was mir in der Vergangenheit Halt gegeben hatte. Denn das Ritual, eine rauchen zu gehen, ist auch mit Entspannung verknüpft und diese hätte ich dringend gebraucht.
Während einer Kochlehre, bei deren Rahmenbedingungen mir einfach nicht guttaten, *hust* was ich nicht in der Lage war, zu erkennen, habe ich angefangen, zu rauchen. Einfach aus dem Fakt heraus, dass ich immer in der Küche bleiben und die Bon-Maschine beobachten musste, während die anderen gemütlich zusammensaßen und rauchten und die Begründung dafür war, dass ich Nichtraucher war. Auch ich brauchte Pausen am Arbeitsplatz. Auch später im Büro halfen mir die Zigaretten, Pausen zu machen. Immer wenn sich dieses Ziehen meldete, machte ich eine Raucherpause. Oder dann, wenn es bei meiner Chefin soweit war. Da gingen wir dann zusammen. Solche Rituale haben mich auch lange in der Sucht gehalten.
Wisst ihr, wie scheiße das ist, wenn man gerade aufgehört hat, das alle wissen und man dann trotzdem noch um Kippen angeschnorrt wird oder gefragt wird, ob man nicht doch eine rauchen will?
Ich habe aus Selbstschutz erst mal Raucher:innen gemieden und mittlerweile raucht eigentlich niemand mehr aus meinem Freundeskreis, jedenfalls von denen, mit denen ich mich auch regelmäßig treffe.
Was mir letztlich geholfen hat, endgültig aufzuhören, war ein Schlüsselerlebnis: Mein Vorrat war alle, der Automat hat in der Kälte nicht funktioniert, die Kioske waren schon zu, es fuhr keine Bahn mehr und die Menschen, die ich antraf, wollten mir 5 Kippen für nen 5er verticken. „Nö, da hör ich lieber auf.“ Gesagt, getan. Trotzreaktion.
Was mir geholfen hat, bei diesem Entschluss zu bleiben, war eben dieses Erlebnis, an das ich mich immer wieder erinnern kann.
Hat jemand Lust, mir auszurechnen, wie viel Geld ich gespart habe, weil ich seit dem 16.12.10 nicht mehr täglich zwei Bigpacks gekauft habe? Nicht? Ich auch nicht. Mir reicht es, den Raucherhusten los zu sein.
Alkohol
Mit dem Trinken fing ich ebenfalls während der Kochlehre an. Weil ich nämlich einfach Spaß haben wollte und nachts in der Disco unterwegs war. Zum Ausgleich schlief ich dann mittags während der vierstündigen Pause im Park.
Natürlich betäubte der Alkohol auch meinen seelischen Stress und half mir, mit der ständigen Reizüberflutung klar zu kommen.
Dass ich wirklich ein ernsthaftes Problem hatte, erkannte ich nicht daran, dass ich mich noch total stracke von der vorigen Nacht frühmorgens auf den Roller setzte. Ich ignorierte sogar den Berufsschullehrer, der mich auf meine Fahne ansprach. Es macht erst Klick, als ich meinen Rausch im Krankenhaus ausschlafen musste, weil ich mich am Arbeitsplatz übergeben hatte, dadurch ohnmächtig wurde und mein Souschef den RTW rief.
Ich hatte mich schon längst einer Gruppe angeschlossen. Menschen, die ihren Führerschein verloren hatten und die MPU schaffen wollten, trafen sich dort. Ich war eigentlich in der Gruppe wegen der Person, mit der ich liiert war. Das glaubte mir dort natürlich niemand. Ich war dort auf jeden Fall gut aufgehoben und habe sehr viel gelernt, viel Halt gefunden und dafür bin ich allen sehr dankbar, vor allem dem Leiter der Gruppe.
Dann trank ich zwei Jahre keinen Tropfen und habe dabei gelernt, wie schwierig das ist, das durchzusetzen. Es gibt echt Leute, die hartnäckig immer wieder Alkohol anbieten und das auch am Arbeitsplatz. Da bekommt man den Eindruck vermittelt, man sei unhöflich, wenn man ablehnt und ich versteh auch echt nicht, warum man das begründen muss, weshalb man jetzt keinen Alkohol will. Der einfachste Weg führte also auch hier über Vermeiden solcher toxischer Situationen.
Aus Neugier und weil ich mit dem sozialen Druck schlecht zurechtkam, bin ich das Risiko eingegangen und habe versucht, nur ein Glas Bier zu trinken und nichts weiter. Es gelang. Ich habe maßvollen Konsum erlernt. Für mich war es möglich, auch wenn man mir in der Gruppe sagte: Einmal Alkoholiker, immer Alkoholiker. Der Wunsch nach Alkohol war bei mir nie mit diesem für Suchtdruck typischen Ziehen verbunden.
Heute kippe ich mir vielleicht dreimal im Jahr ne Flasche Sahnelikör hinter die Binde, wenn mir danach ist. Aber das in den letzten Jahren auch nicht mehr, weil ich aus anderen Gründen schon auf meine Leber achten muss.
Ich bin froh, dass ich mittrinken kann, wenn ich will. Allerdings habe ich auch gelernt, Nein zu sagen. Zu einzelnen Getränken, wie auch zu Personen.
Drogen
Ich habe ein oder zweimal an einem Joint gezogen. Ich habe einen richtig miesen Trip gehabt und seitdem ist mir dieser Geruch verhasst, der mir hier öfter mal begegnet. Nachbarn kiffen, Menschen kiffen auf offener Straße … aber da habe ich keine Rückfallgefahr, denn danach war ich nie süchtig.
Aber eine Person, mit der ich liiert war. Was mich zu einem Co-Abhängigen machte. Diese Person war Polytoxikomane, das bedeutet, es wurde alles konsumiert, was gerade greifbar war, teils aus Experimentierlaune, teils aus quälendem Suchtverlangen heraus. Haschisch, Gras, Pilze, Heroin geraucht, später gespritzt, dann ins Methadonprogramm und trotzdem Beikonsum. Ich habe diesen Menschen begleitet, bis ich einfach nicht mehr konnte. Ich habe spät, aber rechtzeitig die Reißleine gezogen, um nicht auch noch in die Beschaffungskriminalität zu geraten.
Daraus habe ich gelernt, dass es nicht möglich ist, anderen zu helfen, wenn sie sich nicht helfen lassen wollen. Es ist nicht möglich, dass ich den Entzug für den Suchtkranken durchstehe, dass muss die Person selbst schaffen und eben auch überhaupt erst mal versuchen wollen. Es ist keine Hilfe für eine suchtkranke Person, wenn man sich selbst aufgibt, um die andere Person zu „retten“.
Man darf Erwachsenen ihre Eigenverantwortung nicht wegnehmen, auch wenn sie suchtkrank sind. Man darf ihnen die Entscheidung nicht abnehmen, etwas zu konsumieren oder nicht – sei es nun ein bestimmtes Buch oder ihr Suchtmittel.
Seitdem gehe ich sofort auf Abstand, wenn ich mitbekomme, dass Menschen Drogen konsumieren. Und ich habe höchsten Respekt vor denen, die es schaffen, da rauszukommen.
Essen
Kommen wir also meinen eigentlichen Kernproblem. Essen als Sucht.
Eines schönen Tages verkündete der Kinderarzt, ich sei zu schwer für mein Alter laut einer Liste, nach der ich zwar auch zu groß war, aber egal, der Schaden war angerichtet.
Um das abzukürzen: Ich bin erwachsen. Ich treffe heute meine eigenen Entscheidungen. Mit meinen Glaubenssätzen habe ich mich auseinandergesetzt. Während meiner Kochlehre habe ich gelernt, Essen wegzuwerfen. Ich habe dank Nadja Hermann meine Fettlogik überwunden und die Anweisungen der Diät-Nanny befolgt. Die magische Kohlsuppe ist der mentale Kickstart in eine Ernährungsumstellung für mich.
Ich mache leberschonendes Intervallfasten, weil ich eine Fettleber habe. Die hat wohl jede:r dritte Deutsche, aber ich nehme das sehr ernst, weil ich mich damit befasst habe, was passieren kann, wenn die Leber schlapp macht. Dann können z.B. die Nieren auch noch draufgehen, was Dialyse bedeutet. Und es kann in den Diabetes führen. Und da habe ich wirklich keinen Bock drauf.
Auf dem Weg in eine Insulinresistenz bin ich auch schon. Deshalb ab sofort: Zucker meide ich wie der Teufel das Weihwasser.
Zum Glück kann ich gut fasten, wenn ich meine Zeitfenster streng einhalte. Die Voraussetzung ist allerdings, dass ich keinen Zucker konsumiere. Denn der lässt das Insulin hochschießen und das macht den Heißhunger.
Trotzdem kreise ich um die 150kg. Mal wieder. Weil ich immer wieder einen Rückfall bekomme. Zweimal habe ich schon mit manischer Kraft und viel Sport schnell stark abgenommen und hatte kurze Phasen in denen ich schlank war und viele Fotos von mir machte. Ich weiß also, dass ich es schaffen kann, aber es ist hart.
Der Entzug vom Zucker, bei dem ich auch dieses Ziehen im Kopf verspüre, ist nach wenigen Tagen festen Willens relativ schnell überstanden, aber Essen ist doch wirklich allgegenwärtig und mich strengen auch Fotos von Essen an, insbesondere von Süßigkeiten. Menschen, die in der Öffentlichkeit essen. Besonders in der S-Bahn, wo ich dem Geruch nicht entfleuchen kann. Deswegen werde ich nicht nur beim Einkaufen, wofür ich mich gezielt wappne, ständig damit konfrontiert, sondern auch auf jedem anderen Weg durch die Stadt.
Vom Essen loszukommen ist so hart, weil man einfach nicht davon loskommen kann, weil man ja essen muss, um nicht zu verhungern. Ich kann aber von Süßigkeiten loskommen. Auch wenn Schokolade und Eis das erste ist, wozu ich greife, wenn ich einen Rückfall habe. Es beruhigt mich zu wissen, dass Obst wegen seiner Fructose lt. meiner Ärztin schädlicher ist für die Leber als Schokolade.
- Schokolade beruhigt mich
- Schokolade tröstet mich
- Schokolade belohnt mich
- Schokolade ist immer für mich da
Und mit dem Aufessen dieser Unmengen an Süßigkeiten bestrafe ich mich dafür, dass ich welche gekauft habe. Im Grunde habe ich keine Fressanfälle, sondern Kaufanfälle.
Da habe ich jetzt angesetzt und es geschafft, gekaufte Süßwaren aufzubewahren. Mit den Zigaretten konnte ich das damals nicht. Bei meinen Kaufanfällen mache ich schon kleine Fortschritte, indem ich es geschafft habe, nicht so viel zu kaufen nach dem Motto „Jetzt ist es eh egal“. Denn das ist es nicht. Jede kcal zählt.
Was mir derzeit sehr hilft, ist, dass ich mich einer Gruppe von Menschen angeschlossen habe, die ebenfalls ihr Gewicht im Auge behalten wollen, sei es, um dieses zu reduzieren oder zu halten. Es ist bisher niemand dabei, der zunehmen möchte.
Zusätzliche Unterstützung erhoffe ich mir vom Adipositaszentrum, wo ich im Dezember einen Termin habe. Mit meinem Ernährungsplan bin ich mir relativ sicher, da ich mich da nach den Empfehlungen der Ernährungsdocs richte. Aber mir ist nicht ganz klar, ob mein Essverhalten bereits eine Essstörung darstellt. Auf jeden Fall kann es nicht schaden, wenn ich mich diesmal bei der Gewichtsreduktion auch ärztlich begleiten lasse von jemandem, der darauf spezialisiert ist. Das sind mir meine Organe wert.
Abnehmen kann ich, das weiß ich. Aber Gewicht halten habe ich noch nie geschafft. Deshalb wird es gut sein, damit nicht alleine zu sein, wenn es mal soweit ist.
Im Augenblick habe ich gerade wieder die Kurve gekriegt. Auf gute 24 Stunden.
Umgang damit in meinen Geschichten
Ganz ehrlich: Ich habe Sucht bisher nicht bewusst thematisiert, aber auch nicht umschifft. Nicht mal wirklich über das Thema nachgedacht.
- Ich habe im Genesungsbegleiter eine Szene, in der mit Sekt auf etwas angestoßen wird. Dabei habe ich darauf geachtet, dass klar wird, dass die Flasche noch von Silvester übrig ist, es ist aber schon Februar. Mir war wichtig, dass nicht der Eindruck entsteht, es sei an der Tagesordnung, dass in diesem Haushalt getrunken wird.
Damit transportiere ich dennoch: Hey, es ist normal, dass Alkohol getrunken wird. Zu Silvester der Klassiker und natürlich auch, wenn man sonst eine Gelegenheit findet, etwas zu feiern. Eher ein Beispiel, wie man es nicht machen sollte. - Drogen tauchen darin auf in Form eines Joints als Auslöser einer Psychose. Fair enough.
- Eine Szene habe ich drin, da wird von einer übergewichtigen Person einer schlanken Person eine Eisschokolade angeboten nach dem Motto „Das gönnen wir uns jetzt mal.“ / „Das haben wir uns verdient.“ Toxisch? Authentisch, weil die Figur einfach verinnerlichte Glaubenssätze hat?
- Natürlich gibt es auch auf dieser psychiatrischen Station einen Raucherraum und es gibt auch Menschen, die zum Rauchen dahin oder rausgehen. Sollte ich das lieber streichen?
Wie viel Rücksicht kann man auf seine Leser:innen nehmen beim Schreiben? Macht das überhaupt Sinn, auf alles achten zu wollen? Wäre es nicht besser, zu kommunizieren, hey, hier hast Du ein Buch, da wird nicht geraucht. In diesem trinkt niemand Alkohol. Hier werden keine Drogen genommen. Dort wird nicht gegessen. Dann weiß man, wo man beherzt zugreifen kann.
Also: In der dystopischen Kurzgeschichte Projekt Rhein gibt es keinen Alkohol, keine Drogen, keine Zigaretten. Es gibt keine expliziten Beschreibungen von Nahrungsaufnahme. Das wird einfach daran liegen, dass die Geschichte so kurz ist. ;)

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